Hrvoje auf der Durchreise
Eine SCHRÄGE Stadtführung
Ich mag Bahnhöfe, Flughäfen, Raststationen auf Autobahnen und sogar Hotel-Lobbys und Tankstellen. Diese Orte atmen Menschen ein und aus. Wenn man selbst aber resident bleibt, kann man dieses Atmen beobachten, und man kann nie vorhersagen, wen der nächste Zug bringen wird.
Wunderbar.
Mondäner formuliert gehöre ich tendenziell zu jenen, die an besagten Orten an der Bar hängen und noch eins bestellen, eventuell Allegorien für das Rumhängen in ein Heft kritzelnd.
Einatmen – ausatmen. Ankommen – abreisen. Ein independant Filmemacher, auf der Durchreise in Zagreb, findet es höchst amüsant, dass ein Tourist auf der Ilica Arbeiter fotografiert. Von Klischees ist da die Rede, von Gastarbeitern, wie seinem Vater in Deutschland, dessen Gastgeber den Namen seines Sohnes – Hrvoje – nie aussprechen lernten, weswegen er unterPseudonymen zu arbeiten pflegte.
Es ergibt sich, dass wir gemeinsam weitergehen, wobei er – nochmals auf die Gastarbeiterthematik bezugnehmend – einen Adolf Schicklgruber erwähnt, der seiner Meinung zufolge ein ganz berühmter Gastarbeiter in Deutschland gewesen sein soll. Interessanter Standpunkt jedenfalls.
Arbeiter und damit verbundenen Klischees gefallen ihm. Er meint hauptsächlich die ihm gut bekannten Klischees des ehemaligen sogenannten realen Sozialismus, die Heroisierung des stählernen Arbeiters usw. Man hat ja gleich genug Bilder dazu im Kopf. Man, oder ich? Hm. Ich habe aber auch andere Assoziationen, es gibt auch eine andere Seite vom Vorhang, wo Arbeiter als dumme Nichtsnutze stigmatisiert werden, die ohne Arschtritt vom Chef (der gern als Leistungsträger, Arbeitgeber, Brötchengeber oder ähnlich euphemistisch bis pathetisch verherrlicht wird) völlig hilf- und antriebslos vegetieren. So ähnlich auch von unserem Helden Heinz Conrads besungen; Klassenkampf mit liebenswertem Wiener Schmäh. Oder ein Plädoyer für Arbeitszeitverlängerung bei voller Lohnkürzung.
Hrvoje mag nicht nur Arbeiter-Klischees, sondern alle Arten von Klischees. Seine Art der Auseinandersetzung damit ist eindeutig die Überaffirmation. Dazu braucht er nur ein paar Luftballons und seinen Camcorder. Kulisse, ProtagonistInnen und StatistInnen liefert die Innenstadt an einem sonnigen Samstag frei haus. Am Ban-Jelacic findet zu Mittag eine Parade von kostümierten Männern statt, die eine Wachablöse nachspielen, oder so.
Ein Stück weiter gibt es eine Allee, in der gerade eine Art Volksfest zu Ende geht. Wie schade, ich hätte es zu gern von Anfang an gesehen. Es gab scheinbar eine Tanzaufführung mit Kostümen – ungarischen, wenn ich mich recht erinnere. Weit interessanter finde ich, als mir Hrvoje nebenbei erzählt, dass er gleich anschließend an die Küste fahren wird, um dort irgendwo in einer verlassenen Befestigungsanlage zu übernachten. Angeblich hat Tito gesagt, dass Jugoslawiens Flugzeugträger die vielen Inseln vor seiner Küste seien. Viele Befestigungsanlagen stammen aber nicht aus der Tito-Zeit, sondern wurden im Laufe der Zeit von den jeweiligen Besatzern errichtet.
Sonst bekomme ich noch jede menge Touristeninfo, über das Wo und Wann ähnlicher Veranstaltungen. Das einzige, das einen Besuch wert sein könnte, ist die Livemusik bei freiem Eintritt unter freiem Himmel, die täglich in der Oberstadt bei der Bergstationder Zahnradbahn spielt. In der Abenddämmerung oder nächtens bewege ich mich weitaus lieber unter freiem Himmel, als gerade eben unter der gnadenlosen Mittagssonne, die einem im Kampfverband mit Kostüm-Paraden den letzten Verstand raubt. So ereilt mich dasselbe Schicksal wie Hrvojes Ballons – mir geht letztendlich die Luft aus und ich muss in den Schatten flüchten.
Auch wenn das alles nicht durchwegs begeistert klingt, bin ich meinem temporären Guide dankbar. Der Überaffirmation mag ich ein bisschen überdrüssig werden, aber diese gastfreundliche Mini-Sightseeing-Tour erinnert mich wieder daran und bestärkt mich in der Überzeugung, dass Action tatsächlich passiert, wenn die Ventile offen sind.