Du hast den Farbfilm vergessen
Eine kleine Zeitreise
1974 beklagte die damals neunzehn-jährige Nina Hagen betont naiv und gleichzeitig kokett , dass ihr Micha den Badeurlaub auf Hiddensee schwarz-weiß fotografiert hat. Wer hätte zu dieser Zeit geahnt, dass es mehr als drei Jahrzehnte später wieder en vogue sein würde, ganz absichtlich auf Farbe zu verzichten? Mir hat zwar niemand so lieblich gedroht mich zu verlassen, dennoch fotografiere ich noch einmal in Farbe.
Ein interessanter Aspekt der nie enden wollenden Debatte um Farbe versus Schwarzweiss, die ein Phänomen der Breitband-Ära ist, also seit fotografische Belange Gegenstand von Online-Foren sind, ist, dass die Beschaffenheit des Mediums den Fokus der Wahrnehmung verschiebt. Wenn man nämlich den Farbfilm vergessen hat, sieht man eher in Kategorien von Licht, Schatten, Formen und Kontrasten. Ist man jedoch ein auf häusliche Harmonie bedachter Micha und hält die Urlaubserinnerungen in Farbe fest, drängen sich mitunter Farbkompositionen geradezu auf, die mitunter ganz erfrischend sein können. Dann klappts auch mit der Nina (2).
Mit einer Digitalkamera hält in dieser Hinsicht die Indifferenz Einzug, aber das ist wieder ein Thema (der Online-Foristas) für sich.
Nach einem Tag voller chromatischer Reizüberflutung wird es dann Zeit für pastellig kühle Entspannung bei einem angenehmen Abendessen, wenn und falls man sich einen Tisch in einem der stark frequentierten Restaurants erkämpfen kann.Eine Frage der Sicherheit
Ich kann (leider) nicht beurteilen, ob es damals in der DDR wenig Freiheit und viel Sex gab (1) – und wie das mit der STASI so war -, aber ich konstatiere meiner Generation den Glauben an viele Schein-Freiheiten und die Tendenz zu wenig Sex, wobei beides durchaus in ursächlichem Zusammenhang zueinander stehen könnte. Wie auch immer, mir geht es jetzt eher um Sicherheit als um Sex (3).
Die letzten Frames meines Farbfilms verbrauche ich am nächsten Vormittag in der Nähe der Großbaustelle vor dem Kino Europa in der Varšavska, wobei ich noch nicht weiß was es mit dieser Baustelle auf sich hat. Mir fällt lediglich auf, dass sie scheinbar von privaten Sicherheitsbeamten bewacht und von provisorichen Wänden vor äußeren Einblicken (wahrscheinlich wegen der inneren Sicherheit) gechützt wird.
Vom Kino Europa ist es nicht weit zum Fotolabor, wo ich den Film abgebe und eine Stunde und einen Kava später die Negative und kleine Abzüge abhole. Gäbe es echte Profilabors, und das gilt für Wien fast gleichermaßen wie für Zagreb, wäre das eine komfortable Variante der analogen Fotografie. Aber zu meinem Erstaunen muss ich feststellen, dass genau diese letzten Bilder gar brachial von ECOSEC (4) zensuriert wurden.
Wie ich auf solch abstruse Ideen komme wird später klarer werden, und dann wird sich alles völlig logisch zu einem Großen und Ganzen fügen. Zu diesem Zeitpunkt glaube ich selbst noch an den lieblosen Umgang der Entwicklungsmaschine des Labors mit dem Filmstreifen. Diese beiden Bilder zeige ich gänzlich unbearbeitet und unbeschnitten, um eventuellen Vorwürfen von Fälschung bestmöglich vorzubeugen.Der letzte Frame mit der magischen Nummer 37 wurde allerdings zu einem dreizehnten Stockwerk und verschwand. Er hätte zwei Security-Angestellte an ein Gitter gelehnt gezeigt, die gar nichts dagegen hatten von mir fotografiert zu werden. Mittlerweile ist mir auch klar warum.
Es bleibt spannend…
(1) Finger, Evelyn: Unter Verdacht, DIE ZEIT 06.03.2003 Nr.11 (31.05.2011)
(2) Dabei fällt mir eine Anekdote aus Linz ein: dort gab eine andere Nina vor langer Zeit die Antwort auf eine Frage, die zu stellen weder Max noch ich cool genug waren. Sie behauptete Nina zu heißen, weil sie nie “na” sagen würde.
(3) Ich ersuche die werte Leserinnen-Schaft auf weitere Interpretationen zu verzichten.
(4) Kleine Verschwörungstheorie: statt der Staatssicherheit (STASI) gibt es neuerdings die ECOSEC (Economic Security), die dafür sorgt, dass private Investoren, natürlich mit Zuschuß von Steuergeld (diese Subventionierung wird in einschlägigen Kreisen als Private-Public-Partnership verklausuliert) unbehelligt ihren gewinnbringenden Unternehmungen nachgehen können.